Apfelblüte in Bozen


Die Brenner Staatsstraße liegt bei der Apfelstadt Leifers noch im Schatten des Regglberges, der große Rest des breiten Talgrundes am Ufer der Etsch sonnt sich hingegen bereits in warmem Licht. Neben den großen Kühlhäusern der landwirtschaftlichen Vermarktungsbetriebe am Ortsrand türmen sich unzählige grüne Kunststoffkisten – sie werden in einem halben Jahr erneut hier gestapelt sein, aber mit jeweils 320 Kilo Äpfeln gefüllt. Ich kenne die Betriebsamkeit der Erntezeit, die mit den ersten Sorten schon im August beginnt und bis in den November hineinreicht: Wenn in Oberbozen die Nadeln der Lärchen von saftigem Dunkelgrün auf flammendes Orange umschlagen, ziehen am Talgrund Traktoren schwer beladene Anhänger aus den Obstgärten.

Heuer möchte ich Bozen und seine Umgebung in einer nicht minder attraktiven Jahreszeit erleben: dem Frühling. Nördlich der Alpen entwickeln sich bei Apfel- und Birnbäumen Anfang April die ersten zarten Knospen, während der klimatisch bevorzugte Talkessel von Bozen bereits mit Abermillionen weißer Blüten gesprenkelt ist. Die nicht minder weißen Bergspitzen glänzen in der kraftvollen Frühlingssonne, darüber ein opalblauer Himmel. Nach einem langen, kalten Winter spüre ich erstmals wieder mediterranes Lebensgefühl!

Im Gegensatz zu alpinen Streuobstwiesen werden die Apfelbäume in Reih und Glied gepflanzt und ihre Äste kunstvoll in Spalieren bis auf eine Höhe von drei bis vier Metern emporgezogen, um eine effiziente maschinelle Bewirtschaftung zu gewährleisten – die Ernte erfolgt jedoch stets in Handarbeit. Außer einem Grundrauschen der Autobahn, die den Talgrund durchschneidet, gibt es früh am Morgen kaum Geräuschquellen.

So kommt das Summen der Bienen gut zur Geltung. Sie fliegen emsig zwischen den verlockend duftenden Blüten umher, bestäuben die Fruchtstände und leisten damit ihren Beitrag für eine ertragreiche Ernte.

Doch auch der Apfelbauer hat im Frühjahr genug Arbeit, nicht zuletzt gehört die Überwachung des Thermometers zu seinen wichtigsten Aufgaben. Frost gefährdet die empfindlichen Knospen, weshalb sie in kalten Nächten kontinuierlich beregnet werden, bis die Morgensonne wieder für Plusgrade sorgt und den schützenden Eismantel auftaut.

Der physikalische Effekt klingt verblüffend, funktioniert aber tadellos: Friert das Wasser, wird Kristallisationswärme freigesetzt, und unter dem dünnen Eispanzer fällt die Temperatur nicht mehr unter den Gefrierpunkt. So werden Frostschäden minimiert – andernfalls wären diese Früchte vielleicht schon verloren, noch bevor sie heranwachsen konnten. Wird der Eispanzer hingegen zu dick oder sinken die Außentemperaturen zu stark ab, drohen Astbruch oder Gefriertod.

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