Gib dir die Kugel

Zum runden Firmenjubiläum von Edelweiss Biketravel schenkte sich der Gründer des Unternehmens eine besondere Tour: Von Tirol nach Tirol. Aber außen herum.


Today ist the first day oft the rest of your life.

Zum 30. Geburtstag kann man sich etwas wünschen. Meistens muss man sich das in diesem Alter aber dann doch selber schenken. Werner Wachter, seines Zeichens Chef des Motorrad-Reiseveranstalters Edelweiss, wünschte (und schenkte) sich zum 30-jährigen Firmenjubiläum eine Ausfahrt. Wenn es um (vergleichsweise) kurze geführte Motorradtouren von ein paar Tagen bis drei Wochen oder so geht, ist Werners Gebirgsblumenreisebüro die Nummer eins der Welt. Und diese Welt wollte er sich jetzt endlich mal in Ruhe ansehen. En gros, en detail. Und in Gesellschaft. Acht Monate. 27 Staaten. 248 Tage. 64.000 km. Das macht im Schnitt täglich 258 Kilometer. Also mehr oder weniger Ruhe, eigentlich. In Summe jedenfalls die längste jemals für Kunden organisierte Motorradtour all ever. Schon bald ist man jedoch in Tirol draufgekommen, dass man das alleine nicht derhebt. Also ging Werner einkaufen. Anlässlich der Motorradmesse 2008 in London wurden erste Kontakte zu Kevin Sanders geknüpft, den Boss der Globebusters. Spezialgebiet monumentale Ausflüge, zum Beispiel von London nach Peking, nach Sydney, nach Kapstadt. Long Way irgendwohin.

Werner Wachter, 1943-2021

Zwei Jahre Vorbereitung steckten in der Expedition unsere Erde – Discover our Earth. Zwei Jahre Telefonate und Meetings. Und nicht zuletzt zwei Jahre clash of culture: So ist es bei Edelweiss üblich, das Gepäck im Begleitfahrzeug auf den Weg zu schicken. Tourstart ist nach einem kurzen Tages-Briefing pünktlich um 9:00 Uhr. Gefahren wird vorzugsweise aufgefädelt in der Gruppe, nie jedoch alleine. Das tägliche Abendessen ist im Reisepreis enthalten, und unterwegs gibt es das eine oder andere Picknick.

Wer an Kevins Seite die Welt entdecken will, packt seinen Krempel auf sein Motorrad. Ein Seitenkoffer pro Person sollte doch für acht Monate locker reichen, lässt Kevin ausrichten. Im Begleitfahrzeug sind ein paar Ersatzteile, Reifen und Öl. Sowie Hammer, Kabelbinder, Klebeband. Platz für ein kaputtes Moped. Und der im Improvisieren geschulte Mechaniker. Logo, dass der mit dem Van hinter dem Letzten der Gruppe bleibt, anstatt voraus zu preschen und irgendwo im Schatten Brote zu schmieren und Gemüse zu schneiden. Jeder kann losfahren wann er will – alleine oder mit wem er will. Pause macht jeder wo er will. Wenn er will. Um 19:00 Uhr ist Group meeting, um den nächsten Tag zu besprechen. Ein gemeinsames Abendessen pro Woche geht auf Gruppenkassa. That‘s it.

Schon der Start zur Weltreise war nichts für Warmduscher: 20. November 2010. Tirol. Eine Woche zuvor pfiff noch der Föhn durchs Tal, 20 Grad, Sonnenschein. Doch pünktlich zum Start der Weltreise sank die Temperatur, es fehlte exakt der Zweier vor der Null. Für jeden Teilnehmer wurde die passende Nationalhymne gespielt. „Kickstands up“ rief Kevin, hinter ihm folgte die hupende Meute, heading West. Und in jedem Tankrucksack lag ein Zettel: „The first day of the rest of your life.“

Ursprünglich war da eine lustige Idee, nämlich die, als erste Etappe über Paris nach Dakar zu fahren, was aber nördlich von Barcelona Ende November halt nicht mehr so lustig ist. Und südlich von Marokko ist es unabhängig vom Monat nie lustig, aber aus anderen Gründen. So musste kräftig umgeplant werden, um die Sicherheit der Reisenden nicht zu gefährden. Das kastilische Hochland hat dennoch mit Minusgraden gezeigt, wo der Bartl die Eiszapfen holt, und in Marokko hat es dann hin und wieder nicht fest geschüttet. Wer die Erde entdecken will, der muss halt flexibel sein.

Ushuia, Argentinien, © Chris Seiwald

Streiks prägten die zweite Teilstrecke der Reise (Buenos Aires-Ushuaia-Bogota). Die per Flugzeug über den Atlantik verfrachteten Motorräder hatten zwei Wochen Verspätung, doch die mit Freude vollzogenen administrativen Tätigkeiten der argentinischen Zollbediensteten konnten mit ein paar grünstichigen Sammelbildern von US-Präsidenten auf wenige Stunden komprimiert werden.

Nordargentinien, © Gunter Dürr

Section two machte gleich zu Beginn mit einigen kapitalen Brezen klar, dass hier nur echte Kerle und -innen das Ziel sehen werden. Während die Blessuren der Piloten überschaubar waren, konnten manche Motorräder nur mehr mit massivster finanzieller Intervention reanimiert werden. (Ein Neufahrzeug per Luftfracht anzuliefern wäre auch nicht wirklich teurer gekommen, aber das wollte der Fahrer halt partout nicht.) In Argentinien ging dem Land erst das Geld, dann auch der Sprit aus. Überzeugende Ratlosigkeit („no entiendo“, gerne auch als „no nintendo“ ausgesprochen, um das Nichtverstehen besonders deutlich hervorzukehren) im Angesicht finanzieller Begehrlichkeiten korrupter Straßenaufsichtsorgane war ebenfalls eine wichtige Übung für die Globetrotter.

Etappe drei, von Panama City bis Los Angeles, bescherte dem Team ein paar Quartiere am unteren Ende der Komfortzone und stellte die Truppe zudem vor interessante Herausforderungen bei den Grenzformalitäten. So musste beispielsweise ein Motorrad aus Florida offiziell an die im mächtigen Windschatten ihres Gatten mitreisende Luxemburgerin überschrieben werden: Bei einem Besuch vor vielen Jahren wurde das Fahrzeug des Gringos von einer Spedition außer Landes gebracht, die mit dem äußerst komplexen Papierkram (de facto die richtige Kombination aus Formularen und Geldscheinen) sichtlich überfordert war. Somit ist das (derweil längst wieder in Florida parkende) Bike bis zum heutigen Tag offiziell in Costa Rica, doch jeder Tourist darf stets nur mit einem Fahrzeug im Land sein …

Bei Polizeikontrollen wurden beschädigte Haberkornhütchen ebenso beanstandet wie Tempodelikte, originelle Überholmanöver, nicht vorliegende Bremskontrollberichte etc. – Missstände, die bei gleichzeitigem Verzicht auf korrekte Rechnungslegung stets mit 5 bis 20 US-Dollar aus der Welt zu schaffen waren.

The Rocks, Sydney Harbour, Australien

Die vorletzte Teilstrecke war als einfacher Abschnitt designiert. Alleine an den ersten drei Fahrtagen kassierten die unbeschwerten Weltreisenden mehr Strafzettel als in den fünf Monaten zuvor. Vorbei war es jedoch mit lateinamerikanischen Trinkgeld-Tickets: In der ersten Woche wurden mehr als 1000 Aussie-Dollar fällig. Wer bei sehr motiviertem Tempo zwar nicht der Polizei ins Laserschwert fällt, aber ein Schlagloch übersieht, darf auch in das Gesparte greifen: Beide Räder. Kardan. Federbein.

Überraschend in Kraft gesetzte Änderungen der Visabestimmungen für Russland und Kasachstan konnten logistisch abgefedert werden – alle Reisepässe gingen nach der Einreise per Botendienst von Sydney nach Europa, eine Agentur kümmerte sich um die Sichtvermerke, und pünktlich zur Abreise in Perth trafen die Dokumente wieder ein. Im Handgepäck eines Globebusters-Mitarbeiters, der ausschließlich deswegen nach Australien eingeflogen wurde. Und weil in ganz Australien keine GS-Räder lagernd waren, nahm jener gleich diese Bestellung aus London mit. Und den Kardan dazu, zwei Koffer mit je (!) 30 Kilogramm machen ein nettes Sümmchen Übergepäck aus, und durch den sehr korrekten, tendenziell eher unbestechlichen Zoll musste der gute Mann auch noch.

Spannende Ereignisse gibt es auch von der letzten Etappe zu berichten, dem Heimweg von Bangkok nach Tirol. Einer der Guides machte samt Moped einen über drei Reisfeldterrassen ausgedehnten Köpfler – der Pilot blieb unversehrt, und die GS schaffte es mit einer Rolle Klebeband verstärkt auf eigenen Rädern bis ins Ziel. Ein weiterer Mitreisender entpuppte sich als Desorientierungsgenie und trieb die vom chinesischen Politbüro befohlenen Reisebegleitungs-Aufpasser in den hellen Wahnsinn. Er verfuhr sich auch mit persönlichem Guide mehrmals täglich, und brachte einmal sogar einen halben Tag auf der Ringautobahn einer Großstadt zu, ehe er erkannte, dass er dieser Weg weder das Ziel ist noch dorthin führt.

Generell deuten die Erzählungen der Reisenden darauf hin, dass sich China noch nicht definitiv entschieden hat, welche Straßenseite mehrheitlich für welche Fortbewegungsrichtung benutzt wird. Grundsätzlich gilt das Recht des Stärkeren. Gefahren wird in jede sich öffnende Lücke. Manchmal auch schon vorher. Und das jederzeit. Wer zuerst hupt, hat den Vorrang. Oder auch nicht: Das wird sich weisen. Im Globebuster-Sprachgebrauch wird Reisen in China „Combat-Motorcycling“ genannt – eine Bezeichnung, die sich leider bewahrheitete. Einer der Motorradfahrer wurde schuldlos in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt und musste nach einer für die europäische Mentalität unvorstellbaren Odyssee via Hongkong nach Europa ausgeflogen werden.

Wie zu erwarten war, ließen sich auch in China, Kasachstan, Russland und der Ukraine zahlreiche Schwierigkeiten im Kontakt mit den Behördenhilfsorganen stets durch einen Griff nach rechts hinten erleichtern – nur zu geizig sollte man nicht sein: Wenn der russische Polizeioberst den im Arrestantenbus verschmitzt dargebotenen Euro-Fünfer mit den gerade noch eindeutig aneinander gerieben drei Fingern der rechten Hand nur entgegennimmt, um ihn anzuzünden und kopfschüttelnd aus dem Fenster zu werfen … ja, dann weiß man, dass weder die Währung noch die Betragshöhe auf große Gegenliebe stoßen.

Grenzübergang SK-AT in Kittsee

Und dann, eines schönen Julitages: Der Motorradmagazin-Berichterstatter lehnt an der „Republik Österreich“-Tafel und warten geduldig auf das Blubbern der aus der Slowakei eintreffenden Boxermotoren. Trotz heftiger Luftfeuchtigkeit zwischen Mayerling und der Grünen Mark lässt es sich der Großteil der Weltenbummler nicht nehmen, das feudale Schlosshotel via Mariazell und Gesäuse anzusteuern, eine Kleingruppe mit besonders geeigneter Bekleidung zweigt hinter ihrem einheimischen Guide gar zum Topfenstrudelwirt ab. Der letzte Tag führt zur Gerlos, und weiter zum Autogrill an der A12. Hier soll sich die Gruppe mit einigen aus Deutschland und England eintreffenden Mitreisenden, die nur einzelne Teilstrecken gebucht hatten, vereinen und geschlossen die letzten 50 Kilometer zurücklegen, um dann gemeinsam beim letzten Hotel einzutreffen. Der örtliche Bürgermeister, der vor acht Monaten vor seinem Gemeindeamt von einem Fuß auf den anderen gestiegen ist, damit die Zehen nicht abfrieren, wird auch da sein. Und nervöse Freunde, Bekannte, Verwandte. Die Gattin. Die Kinder. Der Lebensgefährte. Der Hund. Fast alle schauen angespannt auf die Uhr, in immer kürzeren Abständen. Nur der Hund nicht. Noch 15 Minuten.

Holzleiten bei Mieming, Tirol, Österreich

Hupend rollen die Mopeds über die Zielflagge. Kickstands down nach acht Monaten, nach mehr als 64.000 Kilometern. Ein Busserl für die bessere Hälfte (bei „echter BMW-Figur“ eher das bessere Drittel), man schlägt ein zum High Five, dicke Zigarren werden hervorgezaubert, Freudentränen kullern über rote Wangen, und manche Umarmung dauert länger. Ein letztes Mal rufen die beiden aus Georgia „Yieeehaaa!“. Hunderte Fotos werden geschossen. Kevin versaut den Bieranstich, aber das kann jetzt auch kein schlechtes Omen mehr sein.

Die Tour ist zu Ende, die Reisenden sind an ihrem Ausgangspunkt angekommen. Oder fast, denn hier trennen sich die Wege. Morgen nach dem Frühstück geht es heim nach Zürich, nach Wales, in die Vereinigten Staaten. Nach Deutschland, Luxemburg, Wien oder Rom. In ihren Beruf werden sie wahrscheinlich alle nicht mehr zurückkehren – schon alleine deswegen nicht, weil die meisten keinen mehr haben. Ganz egal, ob derjenige systemkonform in Alterspension ist, seine Beteiligungen am Unternehmen mit Anfang 40 zu richtig viel Geld gemacht hat, einen Geschäftsführer als Vertretung seiner selbst eingesetzt oder die drei im Unternehmen tätigen Söhne vor vollendete Ich-bin-dann-mal-weg-Tatsachen  gestellt hat – einen Satz haben alle Erdumrunder nicht vergessen: Today ist the first day oft the rest of your life.

Fotografie und Reportage