BMW GS: Und führe uns nicht in Versuchung

Wie alt ist die 2012er BMW GS wirklich? Wie begehrenswert ist das neue Modell im direkten Vergleich? Und vor allem: Zahlt sich der Umstieg aus? 


Wieder und wieder fährt der Daumen ins Leere. Zwischen Sydney, der Kalten Kuchl und Ushuaia war mir gute 300.000 Kilometer lang klar, wie geblinkt wird. Linker Daumen. Rechter Daumen. Bayerisches Naturgesetz. Und jetzt sitzt da am linken Griff plötzlich ein Blinker wie auf einer billigen Chinatschesn vom Baumarkt. Der Schock sitzt tief, sehr tief. Als würde Erwin Pröll plötzlich ein Toupet tragen.

Es muss sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist.

Tomasi di Lampedusa

Seit neun Jahren ist die 1200er GS am Markt. Also schraubten die Bayern ihren Verkaufsschlager auseinander, bis nur mehr die Luft im Motor überblieb: Bohrung und Hub sind unverändert, folglich auch die Modellbezeichnung. Um diesen Hubraum herum haben sie dann ein Motorrad gebastelt, dass das alte Modell in vielerlei Hinsicht entsprechend aussehen lässt. Erst im direkten Vergleich fällt auf, dass die sanften, runden Formen des GS-typischen Schnabels und der Tankverkleidung durch scharfe Kanten abgelöst wurden. Doch der italienische Schriftsteller  Tomasi di Lampedusa wusste schon vor über 50 Jahren, was Sache ist: „Es muss sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist.“

Der erfahrbare motorische Unterschied (125 statt 110 PS, 125 statt 120 Newtonmeter) ist größer als es die Papierform vermuten lässt. Das E-Gas reagiert so alert wie Dschingis Khan mit Zahnschmerzen – die 2012er-Version, obwohl ebenfalls ein Einspritzer, hat mehr „Vergaserfeeling“ anzubieten. Egal ob Küstenstraßencruiser oder Kampflinienpilot: Die neue GS schiebt ab der Leerlaufdrehzahl druckvoll an, legt bei konstantem Tempo auf Wunsch in jedem Gang kraftvoll zu und lässt der älteren Schwester nicht den Funken einer Chance.

Ebenfalls faszinierend ist die Spurstabilität der neuen GS, die spielerisch leicht in die Kurve kippt und dabei ihre Vorgängerin mühelos aussticht. Ob es bei praktisch gleichem Kampfgewicht an den kleineren rotierenden Massen im Motor liegt, an der um 52 Millimeter längeren Hinterradschwinge oder an der Kontur der neuen Reifendimension – in Punkto Aufstellneigung, Lastwechselreaktionen, Verspannungen oder Kardanstempeln ist der Jahrgang 2013 definitiv die beste GS aller Zeiten. Fairerweise sei angemerkt, dass unserem Testmotorrad das aufpreispflichtige Dynamic-ESA gegönnt war.

Wie toll die neue GS ist, erkennt der am besten, der die alte schon sehr super gefunden hat.

Die neue Mehrscheibenkupplung im Ölbad erfreut ist hinsichtlich ihrer Dosierbarkeit ein feuchter Traum, selbst mit einem Finger ist sie butterweich dosierbar. BMW-typisch beibehalten wurde das Scheppern im Getriebe – früher hat es zwischen Zweiter und Dritter gerne nach Vorschlaghammer geklungen, heute ruft das Einlegen des Einsers Mitleid mit den Zahnrädern hervor. Der auf die linke Seite gewanderte Kardanantrieb verdrängt den Auspuff nach rechts – damit kann man sich beim Rangieren nicht mehr am Endtopf verbrennen, lässt BMW ausrichten. Persönlich war mir das bisher ziemlich egal, weil ich die Koffer eh nie runternehme.

Im Gegenteil: Der Auspuff rechts erscheint mir unpraktisch. Steht die alte GS am Seitenbock, ist der größere Koffer rechts und somit leichter mit einer Innentasche zu befüllen. Ideal also für das Zeug, dass täglich benötigt wird, während Regenverhüterli, Kabelbinder, Werkzeug und ähnlicher hoffentlich nie benötigter Krempel im linken, durch die Auspuffausnehmung kleineren Seitenkoffer gut aufgehoben waren. Jetzt ist der größere Koffer auf der linken Seite, wo man nicht so gut hinkommt. Aber vielleicht will BMW ja subtil Werbung für die von oben zu befüllenden Alukisten machen? Neue Koffer muss man sich ja so oder so anschaffen.

Im direkten Vergleich der beiden Motorräder gibt es also keine Zweifel: Wer schon eine 12er GS in der Garage stehen hat, ist mit ihr bestens bedient und darf sie weiter lieb haben. Damit das so bleibt, sollte man einer Probefahrt mit der jüngeren Schwester aber tunlichst aus dem Weg gehen – andernfalls gibt es wenig Chancen, dass das Sparschwein unversehrt den nächsten Winter erlebt.

Fotografie und Vergleichstest für das Motorradmagazin