Wir fahren nach Chile, um eine der berühmtesten Schotterstraßen des Planeten erleben zu können. In unseren zwei Wochen benützen wir sieben Fähren – wer Chiles Süden bereist, der muss auch seefest sein.
„Ich wollte schon immer am Meer leben“, sagt Martin und macht eine kurze Gedankenpause – sicherlich nicht das erste Mal, denn diese Frage wird er wohl öfter beantworten dürfen. Wir sitzen in seinem sonnendurchfluteten Wintergarten, Martin lässt den Blick über die Bucht vor seinem Haus schweifen, sanfte Wellen rollen am goldenen Sandstrand aus. Doch an seinem Dialekt ahnt man während der Gedankenpause bereits, wie der Satz weitergehen wird: „Aber in der Schweiz ist das nicht so leicht möglich“.
Auf guten chilenischen Karten wird die Region um den Monte Fitz Roy als graues Kasterl dargestellt, denn der exakte Grenzverlauf ist hier noch immer nicht zweifelsfrei anerkannt.
Straße in den Süden, so lautet die Übersetzung von Carretera Austral. Sie soll nach einem allfälligen Endausbau in einigen Jahrzehnten die bislang nur mit dem Schiff oder über argentinischen Hoheitsgebiet erreichbaren Regionen an das Wegnetz des Nordens anbinden – nicht zuletzt um dem großen Nachbarland, von dem man durch eine gemeinsame Sprache getrennt ist, klarzumachen, dass man diese Ecke des Landes nicht einer allfälligen Invasion (es wäre nicht die erste!) schutzlos am Silbertablett präsentiert.
Die Rolle des Schiedsrichters fiel dem britischen Monarchen Eduard VII zu.
1881 lag man beispielsweise schwer im Streit, wo die jeweilige Heimat enden und das Feindesland beginnen solle, und einigte sich auf die Kammlinie, die die höchsten Wasser scheidenden Gipfel verbindet. Klingt theoretisch gut, praktisch kamen dem allerdings ein paar Quertäler dazwischen, und ein paar Seen galt es auch noch zu halbieren.
Chile ist auch ohne den Antarktisanteil mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von 4300 Kilometern (das Land liegt auf die Nordhemisphäre umgerechnet ca. im Bereich von Kopenhagen bis in den Sudan) das längste Land der Erde und kann daher mit allen, wirklich allen Klimazonen aufwarten. Neben Regionen, wo es seit Menschengedenken noch nie geregnet hat, gibt es auch Gegenden, in denen der Niederschlag mitunter zumindest vorübergehend aufhört.
Recherche der Route, Fotografie und Reportage