Schottland und Isle of Man: Liquid Sunshine

Die Highlands auf Byways mit dem Motorrad zu erkunden, ist ein Traum. Und lehrreich: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung.


Unsere Motorradtour beginnt trocken, aber kühl. Die rostrote Eisenbahnbrücke, die seit 1890 das breite Mündungsgebiet des River Forth überspannt, ist unser erstes Ziel – wäre der Nebel so dicht, dass er das gegenüberliegende Ufer verschluckt, würde das Fotomotiv noch mystischer wirken. Noch deutlich älter ist der Ort der nächsten Fahrtpause: Das 1572 gegründete Kenmore Hotel gilt als älteste Schenke Schottlands. Die ganze Dorfstraße wird von Gebäuden mit weiß getünchten Fassaden und schiefergrauen Dächern flankiert, Rankgerüste aus dunkel gestrichenem Holz bilden den typischen Kontrast. Eine Szenerie wie aus dem Bilderbuch!

Das landschaftliche Highlight des Tages ist aber ohne jeden Zweifel der Cairngorms Nationalpark. Er schenkt uns pure schottische Idylle: Die Hügelketten verlaufen sich am Horizont, friedlich weidende Schafe sprenkeln saftige Wiesen. Der Hirte tuckert mit einem historischen Land-Rover im Slalom durch seine Herde, am Beifahrersitz sitzt sein interessiert aus dem offenen Fenster blickender Hund. Am Cairnwell Pass reißt der Himmel auf, und die Sonne bringt die schottischen Highlands zum Leuchten. So haben wir uns das vorgestellt!

Der bekannteste Ort im hohen Norden ist John o’ Groats. Der Weiler ist die am weitesten von der südwestlichsten Spitze der britischen Hauptinsel entfernte Ansiedlung. Der Wegweiser nach Land’s End in Cornwall – 874 Meilen – ist damit nicht nur die wichtigste Sehenswürdigkeit des Platzes, sondern auch die einzige.

Der nördlichste Punkt von Mainland Britain ist der von einem Leuchtturm gezierte Felsvorsprung Dunnet Head. Wir können uns nach dem obligatorischen Foto vor allem für die drolligen Papageientaucher begeistern, die in den steil abfallenden Felsen nisten.

Reisevorbereitung bedeutet für mich, vorab Reiseführer zu lesen und im Internet zu recherchieren: Was gibt es zu sehen? Worüber möchte ich in meinem Reisebericht erzählen? Dann heißt es, mögliche Fotopoints einzuplanen und deren Wegpunkte ins Navi zu übertragen. Darum weiß ich genau, was die Icon-Ansammlung am Display des Montana bedeutet: Wir nähern uns einem besonders schönen Abschnitt. Die Passstraße des Bealach Na Ba besteht an guten Tagen aus Postkartenmotiven, wie geschaffen für die Tourismuswerbung – ein must-see ganz ohne Fake-Monster. Nun denn: Wer plant, irrt genauer. Nach Applecross steigt die Straße an, unablässig prasseln fette Tropfen gegen das Visier, und auf den letzten 150 Höhenmetern gehören wir der Regenwolke. Bei 15 bis 20 Meter Sichtweite und böigem Seitenwind ist hohe Konzentration gefragt. Glücklich erreicht die Gruppe den Parkplatz am Scheitelpunkt in 626 Metern Seehöhe, und wenig überraschend ist die Lust, dort zu verweilen, sehr überschaubar. Auf der Skye Brücke über den Loch Alsh zappelt der Windsack waagrecht. Sehen wir es positiv: Der Tag bringt richtig Schräglage, selbst wenn die Straße geradeaus führt. Auch in der Nacht prasselt es unentwegt ans Fenster. Was heute runterkommt, ist morgen nicht mehr oben – aber das Satellitenbild zeigt: Das Tiefdruckgebiet kreist über dem offenen Meer und holt sich so stetigen Flüssigkeits-Nachschub.

Eigentlich dachte ich, bei dieser Tour das praktische Zwiebelschicht-System meiner Stadler-Kombi zu nützen – schließlich hört man recht oft „Wenn Ihnen das Wetter in Schottland nicht gefällt, warten Sie einfach 20 Minuten.“ Vier Jahreszeiten an einem Tag sind angeblich keine Seltenheit – wir lernen vor allem eine kennen, die dafür gründlich: Die Regenzeit. Na gut, verbuchen wir die Reise als Dichtheits-Extremtest. Die Mitreisenden aus Australien, bekleidungstechnisch sichtlich von den down-under-Klimagegebenheiten verwöhnt, fassen an der Rezeption je zwei Müllbeutel und ein paar Einweg-Handschuhe aus. Das Bein kommt erst in die Tüte, dann in den Stiefel. Atmungsaktiv ist das zwar nicht, aber wenn die Hände und Füße trocken bleiben, nimmt man das gerne in Kauf. Die Gäste aus den USA beobachten den life hack, nicken anerkennend – und machen sich zügig auf den Weg zur Rezeption.

Fotografie und Reportage für das Alpentourer Magazin
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